Samstag, 12. September 2009

Von ganz weit oben

ungeziefer-stopp-klein1163495041 Als ich eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand ich mich in meinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Ich schaute an mir herunter und entdeckte: Ich war ein Prediger!

Eilends huschte ich ins Bad und begann sofort mit meiner wahren Bestimmung, dem Predigen. Mein eigenes Spiegelbild kam mir da gerade recht. Und ich predigte, was das Zeug (welches auch immer) hielt. Anfangs noch sehr ruhig und besonnen, dann ein bisschen wie in "Living Gospel" (Das Vierte), dann, als mein Spiegelbild sich immer merkwürdiger verhielt und seine Gesichtszüge wie ein alter rostiger Zug entgleisten, predigte ich wie besessen, ja wie im Rausch. Und errang meinen allerersten Achtungserfolg: Ich überzeugte mich selbst! Und das ist das Wichtigste, Leute. Das kann man in jedem Erweckungs- und Ratgeberbuch nachlesen: Wenn Du von Dir selbst nicht überzeugt bist, wer dann?!

 obi Jedenfalls das hatte schon mal geklappt. Ich beschloss, meine Mission auszuweiten, lief in den nächsten Baumarkt und erwarb ein Besenabo. Und jeder Nachbar und jeder andere, der bei drei nicht in der Wohnung war, bekam - natürlich gratis - von mir einen Besen. Gehe hin und kehre vor Deiner eigenen Tür, rief ich dabei. Und blieb am Anfang natürlich daneben stehen. Die Predigt verlangt das Folgen. Was dann auch ganz gut klappte. Übrigens auch bei meinem Nachbarn zur Rechten (ja, das wird hier groß geschrieben). Und der Nachbar übernahm dann auch sehr bereitwillig das Kehren vor meiner Tür. Denn auch das ist wichtig: Du musst ein Vorbild sein für die Leute. Wenn da jemand kommt und guckt genauer hin, z.B. unter Deiner Fußmatte, dann muss das picobello sein. Und dafür hat man den zuverlässigen Nachbarn.

Condom_advertisement_1918 Und so predigte ich tagaus, tagein und erwarb mir durchaus einen gewissen Ruf. So berichtete nicht nur die lokale Tagespresse, sondern sogar die ganze Welt von meiner Aktion "Schluss mit der Rumhurerei". Bei dieser Aktion verteilte ich Kondome an Hundebesitzer, damit die Tiere sich nicht weiter vermehren. Es gibt schließlich schon genug Haufen. In Berlin, der Stadt des Hundekots, wurde ich mit der Hauptstadtmedaille für chuzpige Zivilcourage ausgezeichnet. Man merkte auf und nahm Notiz.

Westclox_Big_Ben Jetzt gab es natürlich kein Halten mehr. Predigen rund um die Uhr. Ohn' Unterlass, kein Wochenende, keine Ferien, selbst Verschnaufpausen gab es nur als kurzes Innehalten in der Predigt selbst. Als ich dabei einmal einschlief, fiel auch das nicht auf, das Volk schlief mit. Ich nannte es die Dörnröschen-Predigt, schrieb ein Buch dazu (Megaseller!) und wendete es erfolgreich in Talkshows an. Gerade bei B- und C-Promis wirkte dies sehr gut, einige wachten gar nicht wieder auf. Ein schönes Ergebnis.

Inzwischen hatte mein Predigen eine neue Stufe erreicht. Immer öfter schwebte ich leicht über dem Boden, was meiner Glaubwürdigkeit nicht nur mehr Glaube, sondern auch mehr Würdigkeit verlieh. Das steigerte sich mit dem Schweben (Der Fachausdruck hier: Levitieren) dann soweit, dass ich beim Predigen in geschlossenen Räumen immer alsbald unter der Decke hing. Manchmal breitete ich dabei die Arme aus, so dass ein schönes Kreuz entstand. Symbolik ist ja in meinem Genre so was von wichtig.

So'n Levitieren ist sehr praktisch. Die Menschen konnten jetzt dichtandicht in den Räumen stehen und mussten nur den Kopf nach oben drehen, um die Predigt zu empfangen. Das bedeutete vollere Räume und mehr menschliche Wärme.

Eines Tages nun vergass ich allerdings beim Predigen im Freien mich - wie sonst - anleinen zu lassen. Und so erhob sich nicht nur meine Stimme, sondern auch ich, und so schwebte nicht nur mein Geist, sondern auch ich über den Köpfen der Menschen. Die immer kleiner wurden. Und ich dachte, wenn man die Dinge von oben betrachtet wird vieles unwichtig und klein.

Und so entfleuchte ich in höhere Sphären, eine Himmelfahrt ohne Kommando, denn es ging locker und leicht und wie von selbst. Und während so manch anderer den Menschen dadurch entrückt worden wäre, war ich: vorbereitet. Mit einer Webcam von Ebay.

youtube Ab sofort gab es meine Predigten allüberall auf YouTube zu sehen. Ich wurde eine Legende, ja ein Mythos. Die Leute machten mit und aus Web 2.0 wurde schnell ein 3.0 und ein 4.0. - denn viele, sehr viele folgten mir nach und erreichten auch das höchste Level: Freies Schweben.

599px-The_Earth_seen_from_Apollo_17 Ja, es war ein langer Weg bis hierhin. Vom Aufstehen des Morgens und dem Verwandeltsein bis zum Prediger im Live-stream-on-earth. Mit all den anderen, die jetzt um mich Herumschweben und ihre Botschaften senden. Vorbei die Zeiten, als wir, damals noch Propheten geschimpft, im eigenen Land nichts galten und in die Wüsten zogen. JETZT! kommt das Gute von oben. We are the world! Come and join uns.

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